Familiengeschichte
Vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, eine westfälische Geschichte
Wann beginnt eine Familiengeschichte? An welchem Ort beginnt eine Familiengeschichte? Vielleicht besser – wann und wo beginnt die Reise einer Familiengeschichte?
Fakt ist, die Familie Hansmeier, eigentlich Hansmeyer ist seit vielen hundert Jahren in Rehme (niederdeutsch: Rieme), heute ein Stadtteil der nordrhein-westfälischen Stadt Bad Oeynhausen, ansässig.
Der zusammengesetzte Name Hansmeyer findet seinen Ursprung bei den Meiern (lateinisch maior oder maius „größer, stärker, bedeutender“), also den mittelalterlichen Gutsverwaltern, bzw. später bei den Inhabern von Besitz- und Verwaltungsrechte der in anvertrauten Höfe.
Auf den Punkt gebracht handelt es sich bei den Hansmeyers um ein schon im Mittelalter nachgewiesenes mehr oder weniger freies westfälisches Bauerngeschlecht. Das ermöglicht es heute, mit ausreichend vorhandenem Archivmaterial auf das Besitztum in Rehme, genauer Niederbecksen, über Generationen zurückzublicken. Ob der Frantz Wilhelm (*23.9.1691) oder dessen Sohn Frantz Ludwig (*20.11.1722 †3.5.1769) bereits von Interesse sind oder gar deren Vorväter, mag dahin gestellt sein. Spannend wird es beim Urahn Carl Christian Diedrich Hansmeyer (3.3.1800 †1848). Dieser, einmal verwitwet und wiederverheiratet, hatte nämlich mindestens zehn Kinder – nicht ungewöhnlich für die Zeit. Bei diesem bzw. dessen Kindern tritt ein Phänomen zu Tage, das später zum Familienzweig nach Königslutter führte wenn auch über einige Umwege.
In Westfalen galt in der Erbfolge das Minorat, also das Vorrecht des Jüngsten männlichen Nachkommen auf das Erbe. Dieses fiel dann auf den 1841 geborenen Johann Diedrich Hansmeyer. Dessen Geschwisterzweig den Hansmeiers aus Königslutter 1992 an ganz anderem Orte begegnete.
„Wir reisten damals im Sommer im Westen der USA. Aufgrund meines damaligen Interesses an den vielfältigen Auswanderergeschichten blätterte ich gelegentlich in den Telefonbüchern, die in den Hotels auslagen. Im Ventura County entdeckte ich tatsächlich dreimal Hansmeier. Ich rief einfach an und erreichte auch zwei Familien. Es verwunderte mich, dass beide Familien einander nicht kannten, aber beide über ihre Vorfahren aus Minden-Lübbecke sehr konkret zu berichten wussten. Nach Recherchen anhand meiner Aufzeichnungen von damals in Auswandererlisten weiß ich heute, dass dies Kinder von Carl Christian Diedrich Hansmeyer, ältere Geschwister von Johann Diedrich waren, die in der Not der Zeit ihr Glück in der neuen Welt suchten“, weiß Sven Hansmeier heute zu berichten.
Eine Generation weiter traf Ernst August Hansmeyer (*4.12.1876 †10.10.1953) als ältestgeborener Sohn das Minorat. Während sein jüngerer Bruder Karl in Bad Oeynhausen das Hoferbe antreten konnte, verschlug es ihn nach etwas Reise in die Arme der Olga Winter (*13.7.1878 †18.8.1950) und damit auf einen feinen Hof in der westpreußischen Landgemeinde Welnau (heute Kiszkowo).
Westpreussen – Polen – Krieg – Flucht – Neubeginn in der Lüneburger Heide
Die Zeit in Welnau war wechselhaft, fiel der sog. Korridor doch 1919 an Polen und damit lag die Hofstelle dann in der Ortschaft Rybno in der Provinz der alten piastischen Königsstadt Poznań (deutsch: Posen), im Kreis Gniezno (deutsch: Gnesen). Aus „y“ wurde „i“ bzw. aus Hansmeyer dann Hansmeier.
Sohn Walters (*17.4.1912 †29.10.1967) Wunsch Tiermedizin zu studieren wurde zunächst zurückgestellt, denn die Heirat mit Selma Brause (*30.11.1912 †27.5.1982) mit entsprechender Aussteuer in Hektar wurde vom Vater priorisiert. 1937 rief die polnische Armee Walter zum (als sog. Volksdeutscher unfreiwillig angetretenen) Dienst. Wurde Tochter Brunhilde 1938 geboren, so kamen die Söhne Siegfried 1940 und Günter 1943 in Kriegszeiten (die Nibelungen lassen grüßen) zur Welt. Rybno hieß inzwischen seit 1939 Fischhausen (1943-1945 Fischtal). 1939 wurde Walter Hansmeier dann umgekleidet und diente bis zur Gefangenschaft in der Wehrmacht.
1945 kam, wie für so viele Familien in den ehemaligen Ostgebieten, die große Zäsur. August floh mit Ehefrau Olga, Tochter Luise Rose mit Sohn, Schwiegertochter Selma und deren Kinder Brunhilde, Siegfried und Günter nach Westen. Tochter Agnes blieb im Glauben an die Zurückschlagung der Roten Armee durch Wehrmacht und Volkssturm zurück und teilte das Schicksal vieler Frauen, indem sie von Rotarmisten geschändet und ermordet wurde.
„2012 sind wir mit ganzer Familie in die Region Gniezno gereist. Ich habe vorher einige Recherchen in den Unterlagen meines Onkels Siegfried vorgenommen. Mit Hilfe eines Google Earth-Ausdrucks und alten Photos ließ sich die ungefähre Lage des alten Hofes bestimmen. Vor Ort haben wir dann Feldherrenhügel bezogen und mit Blick durch das Fernglas auf den Dächern der verstreuten Höfe Dachgauben und Schornsteine gezählt. An der Hofstelle mit unseren zwei PKW angekommen, schickten wir zunächst den Dolmetscher vor. Er grüßte eine Frau in den Dreißigern kurz mit Dzien Dobry. Sie erwiderte den Gruß und vielleicht das fünfte, sechste Wort von ihr war „Hansmeier“. Das wühlte uns kurz auf, denn die einzigen Deutschen, deren Besuch sie sich wohl vorstellen konnte, war die vormalige Eigentümerfamilie des Hofes. Sehr gastfreundlich wurden wir hineingebeten. Ihre Eltern kamen hinzu. Die Familie lebte sehr bescheiden, der alte Trecker meiner Großeltern war noch in Betrieb, das Haus in sehr schlechtem Zustand. Nach 1945 ging der Hof an eine ehemalige Deputatarbeiterfamilie meiner Ur-/Großeltern und schrumpfte auf 7 ha Ackerfläche zur Selbstversorgung. Der Rest wurde vergesellschaftet. Nach 1989 konnte man dann wohl noch einmal 7 ha dazukaufen, so dass die Familie heute auf 14 ha wirtschaftet. Das Schlafzimmer, in dem meine Großtante ermordet wurde, konnte erst wenige Jahre vorher renoviert werden, so dass Spuren der Tat die Familie über Jahrzehnte begleitete. Ein eindrucksvoller Besuch und eine Reise in die Geschichte meiner Familie“ erinnert sich Sven Hansmeier.
Die Flucht brachte die Familie nach Wesendorf. Während August Hansmeier mit Ehefrau, Tochter, Schwiegersohn und Enkel sein Wohnrecht auf dem angestammten Familienhof wahrnahm, bot man Selma mit den drei Kindern keine Zuflucht, kein Zuhause, so dass diese in Wesendorf zurückblieben. Nach Kriegsgefangenschaft, zuletzt in Nordirland, kehrte Walter Hansmeier zu seiner Familie nach Wesendorf sichtlich gezeichnet vom Krieg zurück. Brachte er die Familie zunächst als Tagelöhner und Milchkutscher durch, siedelte unter härtesten Bedingungen 1949 bei Zahrenholz und gründete die Bauernschaft Texas.
Vom Minorat zum Majorat – Texas, Wolfsburg, Braunschweig, Lehre
Günter Hansmeier (*4.5.1943 †6.12.2019) wurde mit fünf Jahren eingeschult. Die kleinen Kinder saßen vorn in der Klasse, die älteren eben hinten. Die Arbeit auf dem Hof und die sehr bescheidenen Verhältnisse prägten die Kindheit. Nun galt das Majorat und der ältere Bruder Siegfried war für die Fortführung der Landwirtschaft vorgesehen. Mit 13 Jahren verließ Günter also nach acht Jahren Volksschule, nach der damaligen Schulpflicht, mit einem Köfferchen das Elternhaus und bezog zunächst das Christliche Jugenddorf in Wolfsburg. Dort begann er dann die Kaufmannslehre bei Hermann Preissler am Steimker Berg, die er mit 16 Jahren 1959 erfolgreich abschloss.
Es zog ihn nach Braunschweig. Arbeit im Lebensmitteleinzelhandel am Tag sorgte für Einkommen. Die Abendschule ebnete den Weg für das Fortkommen. Ein Job in der Peterklause im Magniviertel ermöglichte ein besseres Auskommen. Früh wurde er bereits Niederlassungsleiter bei Thams & Garfs an der Hamburger Straße in Braunschweig.
1964 lernte Günter beim Tanz in den Mai die junge Kauffrau Vera Lattemann (*1944) kennen. Beide verlobten sich schnell und heirateten bereits am 18.2.1965. Der Grund war einfach und unromantisch. Man wollte sich gemeinsam mit einem Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft selbstständig machen. Dafür musste man damals in sog. geordneten Verhältnissen leben. Schließlich war Vera zum Zeitpunkt der Hochzeit noch 20 Jahre alt, somit nach damaligem Recht noch nicht volljährig. Das junge Paar zog nach Volkmarode und eröffnete dort das erste Geschäft. Es kamen weitere Filialen im Braunschweiger Land dazu. Das Unternehmen des Bauernssohns und der Hoteliersenkelin wuchs. Später änderte man das Sortiment und betrieb bis 1977 Getränkeabholmärkte.
1968 kauften und bezogen Vera und Günter Hansmeier ein Haus in Lehre. Dort verbrachte auch der 1976 in Braunschweig geborene Sohn Sven die ersten Lebensjahre. Die Geburt des Sohnes und zeitweilige Konzentration Veras auf das einzige Kind führte nach und nachzur Veräußerung der Geschäfte. Günter führte der Berufsweg als Betriebsleiter zur Metro nach Bremen. Die Familie blieb weiter in Lehre. Schließlich hatte Günter seine jagdliche Heimat in der Lüneburger Heide im Nordkreis Gifhorn. Die Jagd ist insofern auch ein elementarer Bestandteil der Familiengeschichte seit Generationen.
1979 ging es zurück in die Selbstständigkeit. Als freier Handelsvertreter begann Günter Hansmeier eine Tätigkeit als Bezirksleiter für die LBS. Eine Beratungsstelle wurde 1980 in Königslutter eröffnet und die kleine Familie bezog mit ihrer Großen Münsterländerin Panja zu Weihnachten 1982 das neue Wohnhaus im Buchenring in Königslutter.